Nachruf
Georg Siegel lebt nicht mehr
Freiburg trauert um sein größtes Schachtalent
Georg Siegel wuchs als eines von sechs Kindern in Freiburg Haslach auf. Mit nur 11 Jahren trat er dem Schachklub Freiburg-West bei, in der damaligen Zeit ein ungewöhnlich junges Alter. Schon ein Jahr später erlegte der schmächtige, etwas blasse Junge seine erwachsenen Gegner reihenweise beim Blitz- und Turnierschach, sodass er schon in der darauffolgenden Saison 1975/76, dann 13-jährig, der Verbandsliga-Mannschaft angehörte. Zu dieser Zeit spielte er noch in einer anderen Sportart äußerst erfolgreich bei den Erwachsenen - im Tischtennis!
"Georgie", wie sie ihn bald alle nannten, war wissbegierig, selbstbewusst und mit einem gerüttelt Maß Frechheit (er duzte die meisten Erwachsenen im Verein schon mit 12) und Killerinstinkt versehen. Er hatte eine unglaublich schnelle Auffassungsgabe, ließ sich leicht für alles Neue begeistern und erreichte bei jedem neu erlernten Spiel schnell Meisterstärke, ob das im Skat, Backgammon, Doppelkopf, Bridge oder Go war, spielte keine Rolle. Seine Spielanlage war tief, aber er war auch immer bereit, ein gewisses Risiko einzugehen, und in vermeintlich ausweglosen Situationen entpuppte er sich als besonders erfinderisch und drehte so manche verloren geglaubte Partie im letzten Moment.
Nach dem Erringen des Badischen Jugendmeistertitels gelang Georg Siegel 1980 im Schach der große Durchbruch: In Saarbrücken wurde er überraschend Deutscher Jugendmeister, vor zahlreichen späteren Großmeistern. Im selben Jahr erzielte er am fünften Brett des gerade in die einteilige Bundesliga aufgestiegenen SK Zähringen mit 10 Punkten aus 15 Partien das beste Ergebnis und hatte damit großen Anteil am sensationellen 8. Platz der Freiburger. Auch in den folgenden Jahren und nach seiner Rückkehr zu Zähringen in den 90er Jahren, war er eine wichtige Stütze für die Bundesliga-Mannschaft.
Dank des Erfolges bei der Juniorenmeisterschaft und seines ungemeinen Talents wurde er vom Deutschen Schachbund (DSB) stark gefördert, er nahm 1981 erfolgreich an den Jugend-Europameisterschaften in Groningen und an den Weltmeisterschaften in Mexico City teil. Dort gelang es ihm auch, den inoffiziellen Titel des Jugend-Blitzschach-Weltmeisters zu erlangen, als er das Blitzturnier aller Teilnehmer gewann. Der DSB schickte Georg zu zahlreichen weiteren Einladungsturnieren, u.a. nach Kuba. Durch seine Erfolge zog er naturgemäß auch das Interesse anderer deutscher Bundesliga-Vereine auf sich, so spielte er einige Jahre für die Schachabteilung des FC Bayern München, mit dem er in der Saison 1984/85 auch Deutscher Mannschaftsmeister wurde.
Bereits im Sommer 1982, gerade 20 geworden, wurde sein steiler Aufstieg im Schach unterbrochen durch eine plötzlich einsetzende und ihm dann über die Jahre immer wieder zusetzende psychische Erkrankung, die er nur widerwillig ertrug, setzten doch die Medikamente seine Leistungsfähigkeit stark herab. Sie hinderten ihn letztlich auch daran, in einem "richtigen" Beruf Fuß zu fassen.
Dennoch gab es immer lange positive gesündere Phasen, die es Georg ermöglichten, über viele Jahre schachlich sehr erfolgreich zu sein. 1994 wurde Georg Siegel der Titel eines Internationalen Schachmeisters verliehen, und im Jahr darauf gewann er überlegen die deutsche Schnellschachmeisterschaft in Essen. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er dann auch zu Beginn der zweiten Hälfte der 90er Jahre, als er einige Turniere gewann (das wichtigste im Dezember 1996 in Zürich), auf zahlreichen Deutschen Meisterschaften auftrat, mehrfach Badischer Blitzschachmeister wurde und seine Elo-Zahl eine Höhe von 2540 erreichte, womit er damals im Deutschland nach der Wende zu den 15 - 20 besten Schachspielern gehörte.
Georg war über Jahre Mitglied in vielen Vereinen der Region, auch in Frankreich und in der Schweiz; zuletzt spielte er wieder für den SK Freiburg-Zähringen, der ihm über viele Jahre als Schach-Heimat diente. Neben den Schachvereinen frequentierte er auch die regionalen Bridge-, Go- und Backgammonvereine und war dort ein respektierter Gegner und Partner.
In den letzten Jahren konnte man eine Verschlimmerung der Krankheit beobachten, die sich u.a. auch durch eine zunehmende Zerstreutheit und Gleichgültigkeit, zuweilen auch Gereiztheit ausdrückte - was war wirklich noch wichtig für Georg? Sein abrupter Abtritt von der Lebensbühne mit gerade 48 Jahren kann auch eine Erlösung für ihn sein und passt irgendwie zu "Georgie", ein Dahinströmen mit unbekanntem Ziel.
Die Schachgemeinde Freiburgs und ganz Deutschlands trauert um eines seiner größten Talente, einen guten Freund und lieben Menschen, und spricht seiner Familie ihr tiefstes Mitgefühl aus.
IM Christian Maier